- Teilnehmer: Föxi, Znoon
- Datum: Allerheiligen 2016
Karwendelquerung Tag 1
Allerheiligen stand vor der Türe und die Tourenausbeute in diesem Jahr war mager gewesen. Sehr mager sogar. Tourenabbrüche aufgrund Selbstüberschätzung (siehe Bericht Grundschartner Nordkante) oder verfluchten Schlechtwettereinbrüchen (Buhldurchschlag) standen öfter am Programm als sonst. Vielleicht hat es aber auch nur damit zu tun, dass die Familie und der Beruf zu viel Zeit fressen und Brüderchen Alter uns mit der gottverdammten Seuche Gemütlichkeit angesteckt hat. Egal, verflucht sei das Alter und der Job – eine Aktion muss her bevor Väterchen Frost das Pulver bringt nach dem wir alle süchtig sind. Aber bitte nicht wieder ein Abbruchkandidat. Wir einigten uns also auf eine gemütliche Karwendelquerung, wo genau und wie wollten wir unterwegs klären. Gestartet wurde jedenfalls am Freitag später Nachmittag von Scharnitz aus in Richtung Pleisenspitze (Karwendelhauptkamm). Das Wetter sollte gut werden und die Touri-Dichte im teutonischen Naherholungsgebiet aufgrund der heurigen frühen Schneefälle hoffentlich spärlich.
Föxi hatte sich im zweiten Touristen Hotspot des Landes (Chüller Välli) mit Dörrfleisch für drei Monate ausgestattet und mein Rucksack war voll mit Pasta und Pesto. Verhungern würden wir wohl nicht. Für den Durst wollten wir aber nicht zuviel mitschleppen und deshalb bei Bedarf Schnee schmelzen – liegt ja sicher noch genug oben – eine Woche vorher hat uns jedenfalls beim Fehlversuch am Buhldurchschlag im Halleranger ein halber Schneesturm fast aus der Wand geblasen…
Also rauf auf die Pleisenhütte und weiter ins „Vordere Kar“ einen feinen Biwakplatz zwischen den Latschen suchen. Dann lecker Schnäpp’sche und Dörrfleisch kauen im Dunkeln und die erste Nacht fein ruseln im Dauninger unter klarem Sternenhimmel. Vom feinsten.
Karwendelquerung Tag 2
Am zweiten Tag sind wir dann auf die Pleisenspitze rauf – wegen Gipfel und so – und danach über eine Reisse straight runter ins Mitterkar und weiter zum Toni Gaugg Steig. Zu trinken hatten wir schon gestern Nacht nichts mehr gehabt und den Schnaps wollten wir uns auch nicht auf Wüstenkeks gönnen, deswegen war der Aufstieg übers Hinterkar in Richtung Breitgrießkarspitze schon fast a bissl zach. Die Sonne hat runter gepfeffert ohne Ende, das salzige Dörrfleisch nagte am Wasserhaushalt des Körpers und vom Schnee war nirgends was zu sehen. Erst auf ca. 2.300m endlich Pause zum Schneeschmelzen und Tee süffeln.
Hatten wir vor der Pause noch gedacht uns geht’s beschissen, ist aus dem Nichts auf einmal ein Mensch gesetzteren Alters aufgetaucht, der wirklich aussah als würde er bald sterben. Ein fetter Rucksack bis zum Himmel und Ausrüstung ohne Ende, dafür ein roter Kopf mit Rotzglocken bis zum Knie. Herrlicher Anblick. Da fühlten wir uns doch gleich besser. Es stellte sich heraus dass der Typ ein gewisser Ernst aus München war, der gern mit dem Rad (!) nach Scharnitz fährt und dann alleine eine Karwendelquerung unternimmt. Für heute hatte er noch die Überschreitung der Grießkarspitze mit anschließendem Abstieg aufs Karwendelhaus geplant. Von uns wollte er wissen, ob sich das zeitlich ausgeht – und starrte tief schnaufend und angestrengt auf sein GPS Gerät. Ziemlich ambitioniert war unsere Antwort. Wir wollten nur mehr weiter bis zur Biwakschachtel.
Ewigkeiten später, als wir es uns in der Biwakschachtel bei Pasta schon gemütlich gemacht hatten wurde es uns langsam bang um den lieben Don Ernesto, denn für den Weg, den wir in einer knappen Stunde gemacht hatten, brauchte der Gute jetzt langsam wirklich besorgniserregend lange. Mit der obligatorischen Kaminwurzen im Mund fragte ich Andi, ob wir nicht mal schauen gehen sollten wo der bleibt. Doch genau da kam er ums Eck vom Blassengrat: langsam, sehr langsam. Bei der Biwakschachtel angekommen steckte er seinen verrotzten Kopf zu uns herein und brachte nur mehr raus: „ich glaub ich bleib heut da“, bevor er eingeschlafen ist. Armer Ernesto, wir ließen ihn in der Biwakschachtel schlafen und richteten uns draussen ein zweites Biwak her. Die Nacht verbrachten wir fetzenkalt, aber zumindest ohne Rotz im Genick.
Karwendelquerung Tag 3
Am nächsten Tag war Ernesto wieder frisch wie eine junge Kaminwurze, schulterte seine Heimat auf den Rücken und stapfte los in Richtung Karwendelhaus. Er wollte sich mal „erholen“ und was gscheites Kochen dort unten. Wir blieben auf dem Karwendelhauptkamm, stiegen aber nach der Großen Seekarspitze vom Grat Richtung Norden in das Kar ab. Etwas weiter östlich sind wir dann über eine aufsteilende Hangflanke wieder auf den Grat zur Marxenkarspitze aufgestiegen. In dieser kleinen „Nordwand“-Besteigung hätten wir liebend gerne Zugriff auf die Ausrüstung des Don Ernesto gehabt. Gefrorener Schotter und brüchiger Fels fasst es ganz gut zusammen. Unten zuerst noch harschiger Schnee, weiter oben dann eh fast nur noch Eis waren ohne Steigeisen und Pickel doch kein wirkliches Vergnügen. Aber Hauptsache Kaminwurzen und Nudel dabei ohne Ende.
Egal, wir waren nur mehr wenige Meter vom Grat entfernt und umdrehen war nun auch keine Option mehr. Also musste die Flucht nach vorne her. Andi tänzelte über eine Schnee-Eis Traverse in Richtung Grat, wobei das Ausschlagen der Beine beim Spuren an einen tollwütigen Steinbock erinnerte. Mir wurde beim Zusehen fast schlecht, die Andi’sche Traverse blieb mir aber eh erspart weil ich mich bereits im gefrorenen Steilschotter verstiegen hatte. Was soll ich sagen? We made it out alive und ohne Pickel und Steigeiesen geh ich seither eh nicht mal mehr Zähneputzen. Shout out an dieser Stelle an Don Ernesto den Expedition-King aus München. Die gemütliche Karwendelquerung kann also weiter gehen.
Danach war der Grat easy und Absteigen/Aufsteigen über eigene Routen nicht mehr nötig. Nach der Marxenkarspitze und den Ödkarspitzen sind wir am Schlauchkarsattel abgebogen und ins Hinterautal abgestiegen. Schön ist die Birkkarklamm, das muss an dieser Stelle mal gesagt werden. Unsere Hoffnung dass bei der Kastenalm einer eine Kiste Bier vergessen hat erfüllt sich nicht. Weil der Schnaps schon leer war, die Versuchung des Winterraumes zu groß und die Möglichkeit auf eine dort vergessenen Kiste Bier intakt, stiegen wir recht fertig gleich noch zum Hallerangerhaus auf. Eines darf ich an dieser Stelle schon verraten: Das war ein großer Fehler.
Als wir bei einbrechender Dunkelheit den Winterraum erreichten, sahen wir Licht in der Hütte und vier Dosenbier vor der Hütte. Im Nachinein betrachtet wäre es wohl das beste gewesen sich die Biere zu schnappen und ein feines Biwak im Wald einzurichten. Aber wir sind rein – die ganze Hütte voll. OK kein Problem, wird für uns wohl auch noch Platz sein. Wir setzten uns an den uns zugewiesenen Rand des Tisches und ließen die Szene auf uns wirken.
Ein Münchner mit dem Bauchumfang einer Blockgletscherstirn und seine junge Freundin sind mit dem E-Bike hergeradelt und haben sich in der Hütte für eine Woche eingenistet. Inklusive Proviant in Form diverser Würste, die gerade schmatzend „dass es die Sau graust“ von dem Diggen verdrückt wurden. Der Typ ging uns jetzt schon auf die Nerven. Es wollte von uns wissen ob wir morgen wieder weg sind. Auf unsere Gegenfrage was er am nächsten Tag geplant hat kommt die Antwort: „Keine Ahnung, wahrscheinlich auf der Hütte bleiben.“ Na klar, und in der Gratis Hütte a paar fette Würste verdrücken und es sich danach mit der jungen Eule im Matratzenlager gemütlich machen.
Und der Rest der Gang? Die waren den Rest des Abends damit beschäftigt alles Holz zu verbrennen, was den Winterraum normalerweise durch den ganzen Winter bringen soll. In der Hütte hatte es mindestens 40 Grad und die Typen hörten immer noch nicht auf Holz in den Ofen zu stopfen. Wo war nur Don Ernesto geblieben – der ruhige Atomkraftgegner und Ökoaktivist mit Hang zum Ausrüstungsfetischisten aus der Biwakschachtel? Er fehlte uns auf einmal!
Uns war dann alles egal, wir sind pennen gegangen. Nachdem der Wurstfritze das Lager betreten hatte war es aber vorbei mit schlafen. Zuerst eine nasale Komplett-Reinigung der Extraklasse (Nasenspray, Niesen, Rotzen für ca. 10min), danach Sägewerk in außerirdischer Lautstärke. Es war genug. Wir packten unsere Sachen und suchten das Weite. Nur weg von den Winterraumbesetzern.
Karwendelquerung Tag 4
Nach diesem kurzen Exkurs in die Winterraum-Verhältnisse im Hallerangerhaus noch schnell die Beschreibung des letzten Tages unserer Karwendelquerung: Bei herrlichem Wetter übers Lafatscher Joch, danch über den Wilde Bande Steig aufs Stempeljoch, dann übers Kreuzjöchl , die Vintl Alm, Rumer Alm und Arzler Alm runter nach Innsbruck. Lecker Hülli gab es leider erst in der City weil alle Hütten geschlossen hatten.
Karwendelquerung Fazit:
Winterräume im Karwendel besser meiden, sonst eine top Aktion!